Autor + Bilder: © Detlef Teichmann

Reisebericht »Cols et Gorges«

Prolog Tag 1 Tag 2 Tag 3 Tag 4 Tag 5 Tag 6 Tag 7 Tag 8 Tag 9 Tag 10 Tag 11 Tag 12 Tag 13 Tag 14
12.09.2011 – Ruhetag
13.09.2011 – 7:30 Uhr – Frühstück   •   Die höchsten Alpenpässe

Gestern haben wir unseren wohlverdienten Ruhetag genossen, dem hier in diesem Reisebericht keine eigene Seite gewidmet ist. Frühstück war um 8:30 Uhr, Wäsche endlich gewaschen, im Hotelgarten zum Trocknen aufgehängt, Stadtbesichtigung bei Tageslicht, wegen Dauerbremslicht die Fußbremsmechanik an meiner FJR erfolgreich geschmiert, ein Cafe au lait auf dem Dorfplatz, ein Mittagssnack unter dem Sonnenschirm im Garten, viel Ruhe, wieder ein Cafe au Lait und abends wieder im »Le Régalivou« diniert. Und als Abschluss eine ganze Flasche guten Roten vor dem Hotel kredenzt. Herz, was willst Du mehr?!

Heute morgen nun frage ich mich, ob nach den vielen vielen Eindrücken der vergangenen Tage überhaupt noch eine Steigerung möglich ist. Voreilig beschließe ich für mich, dass das nicht der Fall sein kann und wird.

Wieder strahlt die Sonne vom wolkenlosen knallblauen Himmel. Das Wetter ist in den letzten Tagen zwischen uns gar nicht mehr zur Sprache gekommen – beide sind wir überzeugt, dass alles so sein muss wie es ist und gar nicht anders sein kann (wenn Engel reisen …)

Foto

Mit den warmen Farben des frühen Tages starten wir zur Eroberung des höchsten Passes der Alpen, ja Europas. Gegen 9:00 Uhr erreichen wir nach 26 km Fahrt und 1571 m Anstieg auf 2715 m den Durchstich des Col de la Bonette, fahren aber natürlich auch die Cime de la Bonette; schließlich wollen wir zum höchsten Punkt bei 2802 m. Wir sind lange völlig alleine hier oben. Mein bisheriger höchster Pass war das Stilfser Joch mit seinen 2763 m. Trotz der nur geringen Höhendifferenz ein Unterschied wie Tag und Nacht. Dort geschäftiges, fast hektisches Treiben, Jahrmarktstimmung – hier umfängt uns absolute Ruhe, nur selten von einen Vogelschrei durchbrochen. Ich staune, bin sprachlos, Ehrfurcht beschleicht mich.

Foto

Foto

Schweren Herzens starten wir nun downhill nach Jausiers, tangieren hierbei den Col de Restefond. Bald erreichen wir den Col de Vars, für sich alleine genommen auch sehenswert, aber nach dem Bonette im wahrsten Sinne des Wortes blass.

Foto

In Guillestre schließlich freuen wir uns auf die Gorges du Guil, aber man errät es sicherlich schon: "ROUTE BARRÈE"! Die Deviation schickt uns hoch an die Bergflanke, beim Aufstieg verwehrt uns allerdings eine Ampel bis zur vollen Stunde die Durchfahrt auf Grund der wechselnden Einbahnregelung. Kurz vor dem Wechsel auf »Grün« rückt auch noch die Rettungswagenstaffel aus, ein unglücklicherer Mensch als wir braucht Hilfe. Schließlich lassen wir die Umleitung hinter uns und fahren erst einmal auf dem Talgrund durch die Combe de Queyras. Die D947 zweigt nun nach Château-Ville-Vieille ab, wir aber folgen weiter der D902 zum Col d'Izoard. Vor den Kehren hoch zum Gipfel passieren wir mit der Casse Déserte eine bizarre Landschaft. Als Folge der starken Verwitterung ragen aus riesigen Geröllteppichen vereinzelt Felspyramiden, Felsnadeln und Klötze auf. Die Scheitelhöhe des Izoard passieren wir dann ohne anzuhalten, den vielfotografierten Obelisk auf 2356 m, der an die Verdienste französischen Alpenjäger beim Straßenbau erinnert, ignorieren wir wie eigentlich die meisten Gipfelmarkierungen.

Foto

Hinter Cervières führt die Straße durch die gewaltige Schlucht der Cerveyrette und leitet schließlich über die Durancebrücke nach Briançon, die Altstadt mit ihren Befestigungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert lassen wir rechter Hand liegen. Wieder einmal ist auftanken und einkaufen angesagt. Dann arbeiten wir uns durch die vielen Ortschaften im Tal der Guisane zum Col du Lautaret voran. Hier nun könnte man wieder alle paar Meter einen Fotostop einlegen, wechseln doch beständig Gesteinsformationen und Farben. Kurz hinter der Passhöhe nach dem Abzweig zum Galibier können wir nicht mehr widerstehen, so vielfältig sind die Eindrücke. Gletscher, Schneefelder, Almwiesen, mit Moos überzogene Felsen – man kann sich nicht sattsehen.

Foto

Foto

Hoch über dem Scheiteltunnel des Galibier stellen wir unsere Maschinen ab und machen uns über unsere Wegzehrung her. Herrliche Aussicht ringsherum, das wissen auch viele andere. So ist der Galibier Standardprogramm der Tour de France, gut für uns, sind die Straßen doch in sehr gutem Zustand und eine Herausforderung für viele Radler, die sich keuchend die letzten Meter hochpedalieren, dann aber strahlend von ihrem Velo absteigen und sich ihren Glücksgefühlen hingeben. Schließlich fahren wir die Nordrampe nach Saint-Michel-de-Maurienne, natürlich haken wir bei dieser Gelegenheit den Col du Télégraphe auf unserer langen Liste der gefahrenen Pässe ab; mit 1566 m und seiner durch die Bewaldung eingeschränkten Aussicht rangiert er eher unter »ferner liefen«.

Im Arctal kommen wir auf gut ausgebauten Straßen mit größeren Kurvenradien schnell voran, hinter Modane sehen wir links die ehemalige Festungsanlage, in der heute das Centre d'Interprétation du Patrimoine Fortifié untergebracht ist:

Foto

Beständig, aber mit mäßiger Steigung leitet die Straße nun bis auf 1835 m nach Bonneval-Sur-Arc, dessen Name Programm ist, liegt es doch genau in einem Straßenbogen. In wenigen Kehren geht es zum Scheitel auf 2764 m. Hier trotzt der Natursteinbau der Isèrankapelle jeder Witterung. Bei der Abfahrt nach Val-d'Isère sieht man ringsherum die Firnfelder und Gletscher von Dreitausendern wie Grande Motte, Punta Tsanteleina, Punta di Galisia und Punta Calabre. Schließlich passieren wir den Lac du Chevril, leider sehr eingeschränkt in der Sicht, da die Straße durch zahlreiche Tunnel und Galerien führt.

FotoFoto

Nach einer kurzen Kaffeepause in Séez nehmen wir den letzten Pass für heute in Angriff, den Col du Petit-Saint-Bernard. Serpentine um Serpentine schrauben wir uns den Berg hoch, immer wieder folgt noch eine 180-Grad-Kehre. Oben endlich sehen wir das Dach Europas, die in ewiges Eis gehüllte Bergspitze des Montblanc. Die heute gefahrenen Kilometer fordern aber jetzt ihren Tribut, wir würden nun gerne eine Bleibe für die kommende Nacht finden. In La Thulie bietet man uns Quartier an, allerdings zu einem stark überhöhten Preis. Also back on the road. Eigentlich wollten wir über den Colle San Carlo fahren, aber nun nehmen wir den direkteren Weg, in der Hoffnung, vor Einbruch der Dunkelheit im Aostatal fündig zu werden. In Pré-Saint-Didier, dem ersten Talort, kommen wir im gediegenen La Locanda Bellevue zu einem günstigen Preis sehr komfortabel unter.

FotoFoto

Wir speisen gut und dürfen uns im Chefbüro – wie in einigen der anderen Hotels – ins Internet einwählen, um mal kurz im Forum vorbeizuschauen und neu angemeldete User freischalten zu können. Wie immer folgt der obligatorische Verdauungsspaziergang durch den Ort, die Kamera natürlich jederzeit einsatzbereit. Später am Abend sinken wir in unseren geschmackvoll eingerichteten Zimmern in die Kissen. Wie so oft in den vergangenen Tagen will das Sandfräuchen mich nicht rechtzeitig beliefern – ich aber liege dennoch entspannt in den Federn und träume mich mit den gewaltigen Eindrücken des Tages allmählich in den Schlaf.

FotoFoto

◄   Tag 11 Tag 13   ► ▲   Prolog